Die Ausstellung spannt mit „Stadt, Land, Arbeit“ ein thematisches Netz, in dem zehn fotografische Positionen von OSTKREUZ-Fotograf:innen angesiedelt sind.
Es sind Bilder vom Alltag und von der Arbeit, von der Industrie, der Natur und aus den Betrieben. Es sind Fotografien, die sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, in Randbezirken und in Industriebrachen entstanden sind. Alle Arbeiten haben gemeinsam, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. In der Gesamtheit spiegeln die Fotografien den gesellschaftlichen Wandel und die ihm zugrundeliegenden Transformationsprozesse wider, denen Stadt, Land und Arbeit stets und unabdingbar unterworfen sind.
Ute Mahler und Werner Mahler
Monalisen der Vorstädte, 2009–2011
Die “Monalisen der Vorstädte” sind das erste Projekt, das Ute Mahler und Werner Mahler gemeinsam realisiert haben. Dafür ist das Fotografenpaar drei Jahre lang quer durch Europa gereist und hat junge Frauen in Liverpool, Minsk, Florenz, Reykjavik und Berlin fotografiert. Ihre Suche konzentrierten sie auf Mädchen, die an den Rändern der Großstädte wohnen. Mit einer alten Platten- kamera, inklusive eines schwarzen Tuchs, einem Stativ sowie einem für die Aufnahmen angefertigten Stuhl, fotografierten die Mahlers in der Tradition des klassischen Halbporträts die selbstbewussten Frauen an den Orten ihres Lebens, der Peripherie. So wie diese Orte ein “Dazwischen” darstellen – sie sind weder Dorf noch Stadt, weder Industrie noch Natur – so befinden sich auch die jungen Frauen an einem Übergang, an der Schwelle zum Er- wachsenwerden.
Johanna-Maria Fritz gemeinsam mit Charlotte Schmitz
Garden of Lost Dreams, 2016
Für ihr gemeinsames Projekt “Garden of Lost Dreams” begleiten die Fotografinnen junge Männer, die als Prostituierte im Tiergarten in Berlin arbeiten und dort ihre Körper verkaufen. Etwas Wichtiges hat sich gegenüber zur Vergangenheit verändert: Es sind junge, männliche Geflüchtete, die ohne jeglichen rechtlichen Schutz im Park nahe des Brandenburger Tors in Berlin ihre Dienste anbieten. Durch die Verwendung von Polaroids war es den Fotografinnen möglich, das Vertrauen der Personen zu gewinnen, deren Anonymität sie in ihren Aufnahmen wahren. Mit der Veröffentlichung des Fotoprojekts wurde parallel ein Patenprojekt ins Leben gerufen, um die geflüchteten Männer zu unterstützen.
Mila Teshaieva
Ich bin immer frei, 2018–2020
Mila Teshaieva geht in ihrer Arbeit “Ich bin immer frei” der Frage nach, wie man heute in den ehemaligen Industriegebieten der ostdeutschen Städte lebt, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Dafür besuchte sie Menschen in Halle, Delitzsch, Wolfen und Eis- leben. Orte, die seit der Wende einen drastischen Wandel durchliefen – wo einstmals Zentren des industriellen Stolzes waren, finden sich heute vernachlässigte Industrieruinen. Im Mittelpunkt des Projektes stehen die privaten Erinnerungen der Menschen, Erinnerungen an ihre Zeit in der DDR, wie auch an die Veränderungen, die mit dem Mauerfall einsetzten und die bis heute andauern. Dabei stehen für die Fotografin immer das Lebensumfeld und die Lebensbedingungen der Menschen im Mittelpunkt.
Harald Hauswald
Alltag, 1976–1990
Der im sächsischen Radebeul geborene Harald Hauswald zog 1977 nach einer Fotografenlehre nach Ost-Berlin. Dort sind sämtliche Bilder der Serie “Alltag” entstanden, die Szenen auf der Straße, in der U-Bahn und in den Kneipen zeigen. Es sind Momentaufnahmen, die der Fotograf während seiner Streifzüge durch die Stadt eingefangen hat. Allesamt geben sie den facettenreichen Alltag der Menschen und den Wandel des Ostberliner Stadtraums unverfälscht wieder. Heute, mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall, erlauben sie Einblicke in den Alltag der vom Verfall gezeichneten ostdeutschen Republik, der so nicht mehr existiert.
Stephanie Steinkopf
Manhattan, 2012
Manhattan liegt in Brandenburg. Mitten im Grünen, mitten in der Idylle und nur eine Autostunde von Berlin entfernt. “Manhattan”, so nennen die Dorfbewohner:innen im Oderbruch die zwei Plattenbauten seit Jahren. Manhattan ist Abbild wirtschaftlichen Aufschwungs und zugleich ein Ort des Scheiterns. Seit der Wende ist hier strukturell nahezu alles zusammengebrochen. Niemand zieht mehr dorthin und wer kann, zieht weg.
Werner Mahler
Bergbau, 1975
Werner Mahler begleitete die Arbeiter in einem Steinkohlebergwerk bei Zwickau und dokumentierte ihren harten Arbeitsalltag unter Tage. Die Grube Martin Hoop gehörte zu den letzten aktiven Steinkohlegruben in der DDR, denn die Braunkohle war der eigentliche Energieträger des Landes. Im Gegensatz zur Braunkohle wird die Steinkohle von Hand mit einem Presslufthammer gefördert, tausend Meter unter der Erde. Eine schwere körperliche Arbeit, die aus einer anderen Zeit zu sein scheint. Drei Jahre später wurde der Schacht geschlossen.
Ina Schoenenburg
Schmale Pfade, 2015
In “Schmale Pfade” erkundet Ina Schoenenburg entlang der deutsch-polnischen Grenze den Nordosten Brandenburgs sowie den Nordwesten Polens. Ihr Interesse gilt der rauen, wilden und schönen Landschaft, abseits idealisierter Szenarien. Aber besonders auch den Bewohner:innen dieser Gegend, die ihr Leben in dem dünnbesiedelten Landstrich verbringen, ihren Eigenheiten, Geschichten und den zwischenmenschlichen und grenzüberschreitenden Beziehungen. In den zuweilen surreal anmutenden Bildern sind oftmals Brüche zu erkennen, die sich hinter der vermeintlichen Idylle verbergen. Man sieht Sturmschäden, abgesackte Erde, kleine Versehrtheiten der Landschaften, aber zuweilen auch Einsamkeit und Melancholie, die sich in den Blicken der Porträtierten ablesen lassen.
Frank Schinski
Ist doch so, ab 2006
Der Arbeits- und Freizeitalltag der Menschen und ganz alltägliche Räume sind bevorzugte Motive Frank Schinskis. Seine essayistische Serie “Ist doch so“ besteht aus einer Sammlung von Fotografien aus den letzten 15 Jahren. Diese sind entweder frei oder im Auftrag entstanden. Es sind subtile Erzählungen aus Lebenswelten, die Menschen in Situationen vor, während oder auch nach ihrer Arbeit zeigen. Die Arbeit, die den Alltag der Menschen maßgeblich bestimmt, nimmt einen wichtigen Platz im Gesamtwerk des Fotografen ein.
Jordis Antonia Schlösser
Vor dem Verschwinden / Halle- Neustadt, 2002/2004
Seit 1950 fressen sich am Niederrhein die Braunkohlebagger durch das Land, durch Wald, Wiesen, Äcker und Dörfer. In ihrer 2002 entstandenen Arbeit dokumentiert Jordis Antonia Schlösser einfühlsam die Verwüstung einer Kulturlandschaft und deren Folgen für ihre Bewohner:innen.
Das Leben in der Region Halle wurde lange Zeit von Braunkohleförderung und großen Chemiewerken geprägt. Werkschließungen und Massenentlassungen führten nach der Wende zu hoher Arbeitslosigkeit und zur Abwanderung großer Teile der Bevölkerung aus der betroffenen Region.
Beteiligte Fotograf:innen
Johanna-Maria Fritz
Harald Hauswald
Ute Mahler
Werner Mahler
Frank Schinski
Jordis Antonia Schlösser
Ina Schoenenburg
Stephanie Steinkopf
Mila Teshaieva
Ausstellungs-Ansichten
Frank Schinski, Ist doch so
Speicher Gramzow
Ute Mahler und Werner Mahler, Monalisen der Vorstädte
Speicher Gramzow
Ina Schoenenburg, Schmale Pfade
Speicher Gramzow
Harald Hauswald, Alltag
Speicher Gramzow
Stephanie Steinkopf, Manhattan
Speicher Gramzow
Mila Teshaieva, Ich bin immer frei
Speicher Gramzow
Jordis-Antonia Schlösser, Halle-Neustadt
Speicher Gramzow
Daten und Fakten
Umfang
10 Positionen 128 Arbeiten 1 Projektion variierende Formate und Präsentationsformen
Konzept
Von OSTKREUZ in 2020 als Eröffnungsausstellung für den Speicher Gramzow konzipiert und kuratiert
Bisherige Ausstellungsorte
Speicher ART im Speicher Gramzow, 01.05.–01.08.2021